Risikoanalyse vor Sanierungsstart: So bewerten Sie den Worst-Case realistisch und vermeiden teure Überraschungen

Risikoanalyse vor Sanierungsstart: So bewerten Sie den Worst-Case realistisch und vermeiden teure Überraschungen
3 Dezember 2025 1 Kommentare Lorenz Schilf

Stellen Sie sich vor: Sie haben ein altes Haus gekauft, alles ist geplant, die Baufirma ist engagiert, das Geld ist bereitgestellt. Dann kommt der Tag, an dem die Wand abgebrochen wird - und dahinter liegt ein völlig verrotteter Holzständer, der nicht auf den Plänen stand. Die Kosten explodieren. Der Zeitplan bricht zusammen. Und plötzlich steht die Sanierung vor dem Aus. Das passiert nicht selten. Und es ist fast immer vermeidbar - mit einer realistischen Risikoanalyse vor Sanierungsstart.

Warum Ihre Baupläne nicht reichen

Viele Sanierungsprojekte scheitern nicht an mangelndem Geld, sondern an falschen Annahmen. Die Pläne sehen sauber aus: neue Fenster, Dämmung, Elektrik, Fliesen. Aber die Wirklichkeit im Bestand ist anders. Alte Häuser sind wie Menschen: Sie haben versteckte Krankheiten. Ein Riss in der Fassade? Vielleicht nur eine oberflächliche Rissbildung. Oder ein Anzeichen für einen feuchten Keller, der seit 20 Jahren unentdeckt bleibt und die Fundamente angreift. Ein Gutachter, der nur oberflächlich schaut, sieht das nicht. Ein Bauunternehmer, der nur auf den Plänen arbeitet, rechnet damit nicht.

Laut einer Analyse von 150 Sanierungsprojekten in Deutschland, die 2020 vom Professor Rainer Kling von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin durchgeführt wurde, unterschätzen Projekte ohne detaillierte Risikoanalyse die notwendigen Kosten durchschnittlich um 23 Prozent. Das ist kein kleiner Fehler. Das ist ein Finanzloch, das viele Projekte verschlingt.

Was ist eine Risikoanalyse wirklich?

Eine Risikoanalyse vor Sanierungsstart ist kein Luxus. Sie ist eine Notwendigkeit. Sie ist kein teurer Bericht, den man am Ende unterschreibt. Sie ist ein Prozess - und zwar ein systematischer. Sie fragt: Was könnte schiefgehen? Wie wahrscheinlich ist das? Und was kostet es, wenn es passiert?

Es geht nicht darum, Angst zu machen. Es geht darum, Klarheit zu schaffen. Sie identifizieren Risiken - nicht nur die offensichtlichen, wie fehlende Dämmung oder alte Rohre - sondern auch die versteckten: Schimmelpilz hinter Wandpaneele, veraltete Abwasserleitungen, unbekannte Belastungen durch frühere Umbauten, oder sogar rechtliche Hürden wie Denkmalschutz, der plötzlich greift.

Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) schreibt seit 2022 für Sanierungsprojekte über 5 Millionen Euro explizit vor: Sie müssen eine quantitative Risikoanalyse mit Monte-Carlo-Simulationen durchführen. Warum? Weil sie wissen: Ohne diese Methode ist jede Kostenschätzung ein Glücksspiel.

Wie funktioniert die Risikoanalyse in der Praxis?

Es gibt keine einheitliche Formel. Aber es gibt einen klaren Ablauf, den fast alle Experten nutzen. Hier ist er in sechs Schritten:

  1. Voruntersuchung: Sammeln Sie alle Unterlagen: Baupläne, Gutachten, Energieausweise, Mängellisten, sogar alte Rechnungen. Was wurde schon gemacht? Was wurde verschwiegen?
  2. Risikoidentifikation: Sprechen Sie mit Fachleuten - Bauingenieuren, Sachverständigen, Sanierungsplanern. Nutzen Sie Checklisten, aber lassen Sie sich auch überraschen. Fragt man nur nach den offensichtlichen Risiken, findet man nur die offensichtlichen.
  3. Risikoquantifizierung: Jetzt wird es ernst. Für jedes identifizierte Risiko schätzen Sie zwei Dinge: Wie wahrscheinlich ist es? Und wie teuer wird es, wenn es eintritt? Nutzen Sie dafür keine Schätzwerte wie „vielleicht 10.000 Euro“. Nutzen Sie Wahrscheinlichkeitsbereiche: „Es gibt eine 30%ige Chance, dass die Kellerdecke saniert werden muss - und das kostet zwischen 15.000 und 35.000 Euro.“
  4. Risikomatrix erstellen: Zeichnen Sie eine Tabelle. Auf der einen Achse die Wahrscheinlichkeit (gering, mittel, hoch), auf der anderen das Schadensausmaß (gering, mittel, schwer). Jedes Risiko wird in ein Feld eingetragen. Risiken im Feld „hoch + schwer“ sind Ihre roten Flaggen. Die müssen Sie zuerst angehen.
  5. Monte-Carlo-Simulation: Das klingt technisch, ist aber einfach erklärt: Der Computer rechnet Tausende von Szenarien durch. Was passiert, wenn die Materialpreise steigen? Wenn die Baufirma Verzögerungen hat? Wenn die Wetterbedingungen schlecht sind? Die Simulation zeigt: Mit 80%iger Wahrscheinlichkeit liegt das Endbudget zwischen 1,2 und 1,8 Millionen Euro. Mit 10%iger Wahrscheinlichkeit steigt es auf 2,5 Millionen. Das ist der Worst-Case - und der muss in Ihrer Finanzplanung enthalten sein.
  6. Maßnahmenplan erstellen: Was tun, wenn das Risiko eintritt? Haben Sie einen Notfallfonds? Können Sie den Auftraggeber informieren, bevor es zu spät ist? Haben Sie Ersatzlieferanten für Materialien? Die Risikoanalyse ist nicht vollständig, ohne einen klaren Handlungsplan.
Risikomatrix mit Wahrscheinlichkeits- und Schadensanalysen sowie versteckten Baufehlern als Symbole.

Wann lohnt sich das? Wann nicht?

Die Frage ist nicht: „Soll ich eine Risikoanalyse machen?“ Die Frage ist: „Kann ich es mir leisten, sie nicht zu machen?“

Ein Projekt unter 500.000 Euro? Ein kleines Einfamilienhaus mit klarem Zustand? Dann ist eine umfangreiche Analyse vielleicht übertrieben. Aber selbst da: Eine einfache Checkliste mit einem Sachverständigen - 1.500 Euro Investition - kann Ihnen 20.000 Euro ersparen. Die Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Baumeister (BDB) aus 2022 zeigt: 78 Prozent der Unternehmen, die eine Risikoanalyse durchführen, reduzieren ihre Projektüberschreitungen um durchschnittlich 18 Prozent. Das ist kein kleiner Gewinn. Das ist eine Rentabilität von über 1.000 Prozent.

Aber es gibt auch Grenzen. Eine Risikoanalyse kostet Zeit. Sie kostet Geld. Sie braucht Experten. Kleinere Unternehmen, die nur ein paar Projekte im Jahr haben, finden oft keinen Sinn darin. Die Kosten liegen bei 8.000 bis 15.000 Euro - und das für ein Projekt, das insgesamt 800.000 Euro kostet. Da fragt sich der Eigentümer: „Warum soll ich das ausgeben?“

Die Antwort: Weil Sie sonst riskieren, dass Ihr Projekt scheitert. Und weil Sie dann nicht nur das Geld verlieren - sondern auch Ihre Glaubwürdigkeit, Ihre Zeit und Ihre Ruhe.

Was viele vergessen: Externe Risiken

Die größten Überraschungen kommen nicht aus dem Haus. Sie kommen von außen.

Materialpreise. Im Jahr 2022 stiegen die Kosten für Baustoffe wie Holz, Stahl und Dämmmaterial im Durchschnitt um 22 Prozent - innerhalb von 12 Monaten. Wer das nicht in seine Risikoanalyse einbezog, hatte keine Chance. Wer nur mit den Preisen von 2021 rechnete, war verloren.

Lieferketten. Ein Fenster, das auf Bestellung kommt? Wenn der Hersteller in Polen wegen eines Streiks nicht liefern kann, dann bleibt das Haus drei Wochen ohne Fenster - und die Heizkosten steigen. Das ist kein technisches Problem. Das ist ein logistisches Risiko. Und es muss in die Analyse.

Regulierung. Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) seit 2020 hat die Anforderungen an Dämmung und Energieeffizienz verschärft. Was 2021 noch als „ausreichend“ galt, ist heute nicht mehr genehmigungsfähig. Wer das nicht berücksichtigt, baut etwas, das er später nicht nutzen kann.

Was passiert, wenn Sie es nicht tun?

Ein konkretes Beispiel: Das Sanierungsprojekt „Alte Post“ in Frankfurt. Die Bauherren hatten eine grobe Schätzung: 1,2 Millionen Euro. Die Risikoanalyse zeigte: Es gibt eine 40%ige Chance, dass versteckte Schäden im Mauerwerk auftreten - und dass die Kosten auf 1,4 Millionen Euro steigen. Sie haben das Budget angepasst. Die Baufirma hat das Projekt mit dem neuen Budget begonnen. Während der Bauzeit kam es zu keiner einzigen Nachtragsforderung. Am Ende wurde das Projekt 32 Prozent günstiger als bei Projekten ohne Analyse.

Gegenbeispiel: Ein kleiner Investor in München. Er kaufte ein 1950er-Jahr-Haus für 600.000 Euro. Er dachte: „Ich mache es selbst.“ Keine Analyse. Kein Gutachter. Nach drei Monaten: 180.000 Euro mehr an Kosten. Die Bodenplatte war fehlerhaft, die Heizungsrohre waren aus Blei, die Elektrik war nicht mehr genehmigungsfähig. Er musste das Projekt abbrechen. Das Haus steht bis heute leer. Die Verluste: 700.000 Euro.

Digitale 3D-BIM-Ansicht eines Altbaus mit sichtbaren strukturellen Risikopunkten in Farbcode.

Wie starten Sie mit der Analyse?

Sie brauchen keine Experten-Software. Sie brauchen keine teuren Tools. Sie brauchen drei Dinge:

  1. Einen offenen Geist: Akzeptieren Sie, dass Sie nicht alles wissen. Und dass das in Ordnung ist.
  2. Einen Experten: Ein Bauingenieur, der Erfahrung mit Sanierungen hat. Nicht irgendein Architekt. Sondern jemand, der schon 20 alte Häuser gesehen hat - und weiß, wo die Fallgruben liegen.
  3. Eine Checkliste: Nutzen Sie die Checklisten der Bundesarchitektenkammer (BAK) oder der BImA. Fragen Sie: Ist der Dachstuhl trocken? Gibt es Feuchtigkeitsschäden? Sind die Fundamente intakt? Ist die Abwasserleitung noch genehmigungsfähig? Ist die Elektrik auf dem neuesten Stand?
Fangen Sie klein an. Machen Sie eine erste Risiko-Checkliste. Lassen Sie sich von einem Sachverständigen eine Stunde beraten. Das kostet 200 Euro. Und es könnte Ihnen 50.000 Euro sparen.

Die Zukunft: Digitalisierung und Standardisierung

Die Risikoanalyse wird nicht weniger, sondern mehr wichtig. Die Digitalisierung macht sie einfacher. Mit BIM-Tools (Building Information Modeling) können Sie heute den Bestand digital abbilden - und Risiken schon vor dem ersten Bohrer visualisieren. Die Deutsche Gesellschaft für digitales Bauen hat im März 2023 solche Tools für Sanierungsprojekte eingeführt.

Und die Politik macht es noch klarer: Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag 2021-2025 zugesagt, Fördermittel für Sanierungsprojekte nur noch zu vergeben, wenn eine Risikoanalyse nachgewiesen wird. Das ist kein Zufall. Das ist ein Signal: Wer nicht plant, bekommt kein Geld.

Prof. Anja Schäfer von der TU München prognostiziert: Bis 2027 werden Sanierungsprojekte mit fundierter Risikoanalyse durchschnittlich 15-20 Prozent günstiger sein als Projekte ohne. Das ist kein Traum. Das ist eine berechnete Realität.

Was Sie jetzt tun können

Sie haben ein Sanierungsprojekt geplant? Dann tun Sie jetzt das Wichtigste: Stoppen Sie die Planung. Nehmen Sie sich zwei Tage Zeit. Holen Sie einen Sachverständigen. Machen Sie eine Risiko-Checkliste. Fragen Sie: Was könnte schiefgehen? Was kostet das? Und was passiert, wenn es passiert?

Es ist nicht das, was Sie wissen, das entscheidet. Es ist das, was Sie nicht wissen - und was Sie deshalb prüfen.

Ein Haus sanieren ist kein Glücksspiel. Es ist eine Investition. Und wie jede Investition braucht sie eine Risikobewertung. Sonst zahlen Sie nicht für das Haus. Sie zahlen für Ihre Ignoranz.

Was kostet eine Risikoanalyse vor einer Sanierung?

Die Kosten liegen zwischen 3.000 und 15.000 Euro - je nach Projektkomplexität. Für ein kleines Einfamilienhaus (unter 500.000 Euro) reicht oft eine einfache Checkliste mit einem Sachverständigen für 1.500-3.000 Euro. Bei größeren Projekten (über 1 Million Euro) sind umfangreiche Monte-Carlo-Simulationen und externe Gutachter notwendig, die bis zu 15.000 Euro kosten können. Der Aufwand ist aber oft nur 1-2 Prozent der Gesamtkosten - und verhindert Kostenüberschreitungen von 20-30 Prozent.

Muss ich eine Risikoanalyse machen, wenn ich ein Haus sanieren will?

Nein, es ist nicht gesetzlich vorgeschrieben - außer bei Projekten über 5 Millionen Euro, die von der BImA gefördert werden. Aber wenn Sie Kredite von einer Bank benötigen, dann ist die Risikoanalyse oft eine Voraussetzung. Die Deutsche Bundesbank fordert seit 2019 eine solche Analyse als Teil der Kreditprüfung. Ohne sie bekommen Sie kaum noch Finanzierung. Und ohne Finanzierung ist die Sanierung unmöglich.

Kann ich die Risikoanalyse selbst machen?

Sie können eine erste Checkliste selbst erstellen - aber nicht die tiefe Analyse. Die Identifikation von versteckten Risiken wie feuchten Wänden, Schimmelpilz in Dachkonstruktionen oder defekten Fundamenten erfordert Erfahrung und Fachwissen. Ein Bauingenieur oder ein Sanierungsgutachter sieht Dinge, die Sie als Laien nicht erkennen. Selbst wenn Sie alles richtig machen: Ohne Expertenwissen ist Ihre Analyse unvollständig - und das macht sie wertlos.

Wie lange dauert eine Risikoanalyse?

Bei einem kleinen Projekt (unter 500.000 Euro) dauert die Analyse 2-4 Wochen. Bei größeren Projekten (über 1 Million Euro) können es 6-10 Wochen sein. Die Zeit wird oft unterschätzt. Aber diese Zeit spart Ihnen später Monate an Verzögerungen und hunderttausende Euro an Kosten. Es ist eine Investition in Sicherheit - nicht in Aufwand.

Was ist der größte Fehler bei Risikoanalysen?

Der größte Fehler ist, den Worst-Case zu ignorieren. Viele machen eine Analyse, aber nur für den „realistischen“ Fall. Sie rechnen mit 10 Prozent Kostenüberschreitung - aber nicht mit 30 Prozent. Sie denken: „Das passiert mir nicht.“ Aber genau das passiert immer wieder. Der Worst-Case ist nicht das, was unwahrscheinlich ist. Er ist das, was katastrophal wäre, wenn es eintritt. Und den müssen Sie planen - nicht hoffen, dass er nicht kommt.

Wo finde ich einen guten Sachverständigen für die Risikoanalyse?

Suchen Sie nach zertifizierten Sachverständigen für Bauschäden oder Sanierungsmanagement. Die Bundesarchitektenkammer (BAK) führt eine Liste von qualifizierten Gutachtern. Auch der Bundesverband Deutscher Baumeister (BDB) bietet Empfehlungen an. Fragen Sie nach konkreten Erfahrungen mit Sanierungsprojekten - nicht nur mit Neubauten. Ein Gutachter, der nur Neubauten kennt, sieht die Risiken in alten Gebäuden nicht.

1 Kommentare

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    Eric Wolter

    Dezember 3, 2025 AT 18:13

    Ich hab letztes Jahr mein Altbau sanieren lassen – ohne Analyse. War ein Albtraum. 30k mehr als geplant, und die Wand war voller Schimmel, den keiner gesehen hat. Jetzt mach ich alles mit Checkliste. Wer’s nicht glaubt, soll einfach mal in den Keller gucken 😉

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