Barrierefreiheitspflichten bei Neubauten: Welche Normen gelten und wann Ausnahmen erlaubt sind

Barrierefreiheitspflichten bei Neubauten: Welche Normen gelten und wann Ausnahmen erlaubt sind
30 November 2025 2 Kommentare Lorenz Schilf

Was bedeutet barrierefreies Bauen eigentlich für Neubauten?

Wenn du heute ein neues Mehrfamilienhaus baust, darfst du nicht einfach nur nach Geschmack planen. Die Gesetze verlangen, dass fast alle Wohnungen von Anfang an für alle Menschen nutzbar sind - egal, ob sie im Rollstuhl sitzen, einen Gehstock brauchen, kleine Kinder haben oder mit steigendem Alter weniger beweglich werden. Das ist kein Bonus, kein Extra, kein Marketing-Gimmick. Das ist gesetzliche Pflicht.

Die Grundlage dafür ist die DIN 18040-2:2011-09. Diese Norm sagt genau, wie breit Türen sein müssen, wie groß der Platz vor der Dusche sein soll, wie hoch Schalter liegen dürfen. Sie ersetzt alte Vorschriften und gilt seit 2011 als Maßstab für Neubauten. Und sie unterscheidet klar: Es gibt grundlegend barrierefreie Wohnungen - und dann gibt es die, die extra als „R“ gekennzeichnet sind, also wirklich rollstuhlgerecht.

Was genau schreibt die DIN 18040-2 vor?

Die Norm ist detailliert, aber nicht übertrieben kompliziert. Für eine grundlegend barrierefreie Wohnung reichen:

  • Eine Flurbreite von mindestens 1,20 Metern
  • Türen mit einem nutzbaren Durchgang von 0,80 Metern (nicht 0,90!)
  • Eine Bewegungsfläche von 1,20 x 1,20 Metern im Bad
  • Keine Stufen an Eingängen oder zwischen Räumen
  • Bedienelemente wie Lichtschalter oder Thermostate in einer Höhe von 85 bis 120 Zentimetern

Das klingt nach wenig? Für viele ist es genau das Richtige. Aber für Menschen mit schweren Mobilitätseinschränkungen ist das oft nicht genug. Deshalb gibt es die „R“-Wohnungen. Hier gelten strengere Regeln:

  • Mindestens 1,50 x 1,50 Meter Bewegungsfläche im Bad - nicht nur 1,20
  • Türen mit 0,90 Meter Durchgangsbreite
  • Keine Schwellen, keine Übergänge, keine Hindernisse
  • Ein umklappbarer Waschbeckenrand und feste Haltegriffe

Die DIN 18040-2 ist die technische Basis. Aber sie ist nicht das Gesetz selbst. Sie wird erst verbindlich, wenn die Landesbauordnung sie übernimmt.

Warum hängt alles von deinem Bundesland ab

Du kannst nicht einfach sagen: „Ich baue nach DIN 18040-2, das reicht.“ Nein. Jedes Bundesland hat seine eigene Bauordnung. Und die entscheidet, wie viele Wohnungen wirklich barrierefrei sein müssen - und ob „R“-Wohnungen Pflicht sind.

In Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und im Saarland gilt: Wenn ein Haus einen Aufzug hat, dann müssen alle Wohnungen barrierefrei sein. Keine Ausnahme. Kein Kompromiss. Das ist der aktuelle Standard.

In Berlin ist es anders. Seit 2022 gilt: Bei Gebäuden mit Aufzug muss mindestens die Hälfte der Wohnungen barrierefrei sein. Und wenn es mehr als 100 Wohnungen gibt, muss mindestens eine davon rollstuhlgerecht nach den strengeren Berliner Vorgaben - nicht nach DIN 18040-2. Das ist ein wichtiger Unterschied. Berlin hat eigene Maße, die teilweise höher liegen.

In Nordrhein-Westfalen wurde die Landesbauordnung am 1. Januar 2024 komplett überarbeitet. Jetzt steht klar: Alle Anforderungen aus DIN 18040-1 und -2 müssen eingehalten werden. Und wenn es mal Widersprüche gibt - dann gilt immer die strengere Regel. Kein Spielraum für „das reicht doch“.

In Bayern regelt Artikel 46 Absatz 2 der Bayerischen Bauordnung, wie Wohnungen erreichbar sein müssen. Und auch hier: Je nach Gebäudegröße und Nutzung, steigen die Anforderungen.

Das ist der Knackpunkt: Du musst nicht nur die Norm kennen. Du musst wissen, was deine lokale Bauaufsicht verlangt. Ein Architekt, der in München plant, muss andere Regeln beachten als einer in Hamburg. Vergiss nicht: Die Musterbauordnung (MBO) ist nur ein Vorschlag. Die echte Macht liegt bei den Landesbehörden.

Vergleich zweier Wohnungen: standard barrierefrei und rollstuhlgerecht mit erweiterten Maßen.

Gibt es überhaupt Ausnahmen bei Neubauten?

Nein. Nicht wirklich.

Experten sind sich einig: Bei Neubauten gibt es keine rechtmäßigen Ausnahmen von der Barrierefreiheit. Das ist kein Vorschlag, kein Wunsch, kein Ziel. Das ist ein Gesetz. Die Begründung der Musterbauordnung sagt es klar: „Wohnungen, die neu gebaut werden, müssen in Gänze barrierefrei sein.“ Das schließt Flure, Bad, Küche, Toilette und sogar den Freisitz mit ein - wenn es einen gibt.

Was viele glauben: „Ich baue ein kleines Haus mit drei Wohnungen, da brauche ich keine Aufzüge, also kann ich die Wohnungen auch normal machen.“ Falsch. Die Musterbauordnung sagt: „In Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen müssen alle Wohnungen barrierefrei sein.“ Das ist kein Tipp. Das ist eine Verpflichtung.

Es gibt keine Ausnahme für private Bauherren. Keine für kleine Projekte. Keine für „wir haben keine älteren Mieter“. Die Pflicht gilt unabhängig davon, wer baut, für wen, und ob jemand den Rollstuhl jetzt braucht oder nicht. Es geht um Zukunft. Um Demografie. Um Recht.

Die einzige echte Ausnahme: Wenn ein Gebäude gar keinen Aufzug braucht - und nur zwei Wohnungen hat. Dann gilt die Regel nicht. Aber ab drei Wohnungen? Dann ist Schluss mit „normal“.

Was passiert, wenn du die Vorschriften nicht einhältst?

Wenn du eine Wohnung baust, die nicht barrierefrei ist, und das Amt es merkt - dann wird es teuer. Sehr teuer.

Die Bauaufsicht kann die Nutzung der Wohnung untersagen. Sie kann dir die Baugenehmigung entziehen. Du musst nachbessern. Und das kostet mehr als das ganze Projekt zu Beginn richtig zu planen.

Die häufigsten Fehler? Schmale Innentüren. Zu kleine Bewegungsflächen vor der Dusche. Flure, die nicht breit genug sind. Das sind keine Kleinigkeiten. Das sind Baufehler, die du später nicht einfach mit einem neuen Anstrich beheben kannst.

Und es geht nicht nur um Geld. Es geht um Menschen. Eine Wohnung, die nicht nutzbar ist, ist eine Wohnung, die niemand mietet - oder nur für kurze Zeit. Barrierefreie Wohnungen haben eine höhere Mietstabilität. Sie werden länger bewohnt. Sie sind attraktiver für Mieter aller Altersgruppen.

Architekten in NRW berichten: Die zusätzlichen Kosten für Barrierefreiheit liegen bei 3 bis 5 Prozent. Aber die Miete kann um bis zu 15 Prozent höher liegen - und die Vermietungsdauer verlängert sich um Jahre.

Stadtbild mit mehreren Wohnhäusern, eines mit erkennbarem rollstuhlgerechtem Eingang und vielfältigen Nutzern.

Was Experten kritisieren - und was sich ändern wird

Nicht alles an der DIN 18040-2 ist perfekt. Prof. Anke Leopold von der TU Berlin sagt: „1,20 x 1,20 Meter im Bad ist nicht genug für einen Rollstuhl, der sich drehen muss.“ Die Deutsche Gesellschaft für Rehabilitation fordert schon seit 2024: Mindestens 1,50 x 1,50 Meter. Und das ist logisch. Wenn du dich im Bad drehen willst, brauchst du Platz. Nicht nur für den Rollstuhl, sondern auch für die Person, die hilft.

Auch die Türen: 0,80 Meter ist das Minimum. Aber ein Rollstuhl mit 0,80 Meter Durchgang? Das ist eng. Viele Architekten bauen heute schon 0,90 Meter, weil sie wissen: Es ist besser so.

Die Bundesregierung plant bis 2030, dass alle Neubauwohnungen vollständig barrierefrei sein müssen - und dass die Anforderungen an rollstuhlgerechte Wohnungen landesweit einheitlich und strenger werden. Die Barrierefreiheitsstrategie 2024-2026 ist kein Traum. Es ist ein Fahrplan.

Und der Deutsche Städtetag will, dass sogar in kleinen Häusern mit nur zwei Wohnungen eine barrierefreie Toilette im Erdgeschoss Pflicht wird. Das ist der nächste Schritt. Nicht nur für die Wohnung, sondern für das ganze Haus.

Was du jetzt tun musst

Wenn du ein Neubauvorhaben planst, geh nicht zuerst zum Architekten. Geh zuerst zur Bauaufsicht deines Landes. Hol dir die aktuelle Landesbauordnung. Lies §50 der Musterbauordnung. Schau, ob dein Bundesland spezielle Vorgaben hat. Prüfe, ob dein Gebäude einen Aufzug braucht. Und dann entscheide: Wie viele Wohnungen sollen rollstuhlgerecht sein?

Planst du mit einem Architekten? Dann stelle klar: „Ich will die Normen einhalten - und zwar richtig.“ Frag nach den Praxisleitfäden von NRW oder anderen Ländern. Die sind kostenlos verfügbar und zeigen, wie man die Vorgaben umsetzt - ohne teure Fehler.

Und vergiss nicht: Barrierefreiheit ist kein Extra. Sie ist die Norm. Und sie ist nicht nur für andere. Sie ist für dich, wenn du älter wirst. Für deine Eltern. Für deine Kinder. Für alle, die irgendwann einen Schritt weniger gehen können.

2 Kommentare

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    Oswald Urbieta González

    Dezember 1, 2025 AT 13:30
    Kann man das bitte einfacher sagen? Ich hab kein Architekturstudium.
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    hans sjostrom

    Dezember 2, 2025 AT 10:12
    Also ich find's krass, dass wir jetzt alle Wohnungen wie Krankenhäuser bauen müssen 😅 Aber hey, wenn ich alt bin, werd ich’s danken 🙏

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